Donnerstag, 2. April 2009

Nachhaltigkeit in den Schulalltag integrieren

März 2009
http://www.unesco.de/uho_0309_interview_hopkins.html?&L=0

Interview mit Charles Hopkins

Auch Schulen verbrauchen Ressourcen: Papier, Strom, Wasser. Nachhaltigkeit gehört zum Schulalltag. Viele Lehrer haben aber keine Ausbildung, um das Konzept der nachhaltigen Entwicklung kompetent zu vermitteln. Oft fehlt es auch an Zeit, Geld und Unterstützung. Der kanadische Bildungsexperte Charles Hopkins fordert deshalb, Politiker müssten Nachhaltigkeit weltweit zur Priorität machen.

unesco heute: Herr Hopkins, die globale Krise am Finanzmarkt ist ein typisches Beispiel dafür, dass es an nachhaltiger Entwicklung mangelt. Sind Sie optimistisch, was die Zukunft der Welt angeht?

Charles Hopkins
Foto © DUK

Charles Hopkins: Für sehr viele arme Menschen auf dieser Welt ist der Mangel von Nachhaltigkeit ein Desaster. Ich bin also nicht sehr optimistisch. Aber die gute Nachricht ist: Wir haben begriffen, dass wir die Bereiche Umwelt, Wirtschaft und Soziales nicht getrennt voneinander betrachten können, wie wir es ja früher getan haben. Wir sind jetzt durch das Konzept der nachhaltigen Entwicklung imstande, den Weltmarkt konzertiert zu betrachten. Wenn wir das begreifen, wird es uns auch gelingen, uns von der Finanzkrise zu erholen. Aber in der Zwischenzeit wird es für viele der Armen dieser Welt sehr schwer werden.

unesco heute: Wer hat in Fragen der Nachhaltigkeit den größten Nachholbedarf? Ist es eher die Gesellschaft, die Wirtschaft oder die Politik?

Charles Hopkins: Die Gesellschaft allgemein. In allen Teilen der Welt gibt es Länder, die nicht über eine integrierte oder effektive Strategie der nachhaltigen Entwicklung verfügen. In diesen Ländern fehlt es oft an gesellschaftlicher Beteiligung. In anderen Ländern zeigt sich, dass die Gesellschaft noch gar nicht mit dem Konzept der Nachhaltigkeit in Berührung gekommen ist. Wir brauchen deshalb Programme, die das Bewusstsein und das Verständnis für das Thema fördern. Wir brauchen Ausbildungsprogramme auf allen Ebenen, wir brauchen bessere Bildungsprogramme, die sich den Nachhaltigkeitsfragen widmen. Wenn das gesellschaftliche Bewusstsein erst einmal da ist, können wir die ökologischen und ökonomischen Fragen kenntnisreicher und gerechter angehen.

unesco heute: Gerade die Schule ist dafür ein wichtiger Ort. Wie erklären Sie Schülern Nachhaltigkeit?

Charles Hopkins: Das Thema ist überaus abstrakt. Man kann insbesondere jüngeren Schülern den Begriff "Nachhaltigkeit" ja nicht theoretisch erklären. Bildung für nachhaltige Entwicklung muss sich deshalb mit den praktischen Fragen beschäftigen, die Schüler in ihrem Alltag wirklich betreffen – etwa das Teilen, die Fürsorge, die zwischenmenschlichen Beziehungen. Es hat sich bewährt, das Thema Nachhaltigkeit zunächst über Umweltprobleme und soziale Konflikte vor Ort, etwa an der Schule selbst, anzugehen und erst anschließend die globale Perspektive zu betrachten. Nachhaltiges Lernen kann hier vor allem dafür genutzt werden, um bereits bestehende Bildungsziele zu unterstützen – also kritisches Denken, Handeln und Beurteilen zu fördern. Diese Kompetenzen gehen natürlich über das bloße Faktenwissen hinaus.

unesco heute: Die wichtigsten Akteure der Bildung für nachhaltige Entwicklung sind Lehrer. Welchen Stellenwert messen sie dem Leitbild der Nachhaltigkeit bei?

Charles Hopkins: In der Regel stimmen Lehrer intuitiv zu, dass es wichtig ist, Schülern das Leitbild nachhaltiger Entwicklung zu vermitteln. Aber viele Lehrer sagen, der Stundenplan lässt uns keine Zeit, es fehlt an Geld. Manche Lehrer denken auch, es handelt sich nur um noch ein weiteres gesellschaftliches Thema, das die Schulen nun umsetzen müssen – ohne Ausbildung, Geld oder Personal. Um das zu ändern, müssen wir Politikern deutlicher klar machen, worum es bei dem Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung wirklich geht. Das Bildungssystem muss Nachhaltigkeit zur Priorität machen, Geld dafür bereitstellen, Fortschritte messen und über Erreichtes berichten. Nur dann wissen Lehrer, Schüler und Schulverwaltung, dass das Thema wirklich wichtig ist. Wir sollten auch die Eltern viel stärker einbinden, da die meisten von ihnen noch zu wenig über den Zusammenhang von Bildung und Nachhaltigkeit wissen.

unesco heute: Um das Thema Nachhaltigkeit in den Schulalltag zu integrieren, ist eine entsprechende Ausbildung der Lehrer wichtig. Was muss hier noch getan werden?

Charles Hopkins: Es sollte dafür gesorgt werden, dass zumindest die neuen Lehrer die Kompetenzen haben, das Thema Nachhaltigkeit unterrichten zu können. Es gibt weltweit 60 Millionen Lehrer – sie alle umzuschulen, dafür fehlt einfach das Geld. Aber wir können mit den Universitäten zusammenarbeiten, die neue Lehrer und Lehrerinnen ausbilden. Wir müssen diese Einrichtungen und die Bildungsministerien in diesen Prozess noch stärker einbinden. Die UNESCO arbeitet mit Ländern und Institutionen ja seit längerem intensiv daran, diese Frage zu lösen.

unesco heute: Die UNESCO-Weltkonferenz in Bonn kann diesen Prozess voranbringen. Über 50 Bildungsminister und -ministerinnen werden zu diesem Treffen erwartet. Was erhoffen Sie sich?

Charles Hopkins: Zunächst einmal, dass die Politiker besser informiert sind und erkennen, wie wichtig es ist, Bildung für nachhaltige Entwicklung in jeglicher Hinsicht zu fördern. Viele werden sicherlich überrascht sein, was weltweit so alles in punkto Bildung und Nachhaltigkeit läuft. Ich erwarte auch, dass wir uns bei der Konferenz auf konzertierte Aktionspläne einigen. Ich bin ganz optimistisch, ich glaube, wir werden insgesamt Kraft schöpfen, um in den verbleibenden fünf Jahren der UN-Dekade 'Bildung für nachhaltige Entwicklung' und auch darüber hinaus zusammenzuarbeiten.

Das Interview führte Farid Gardizi für unesco heute.

Charles Hopkins ist Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls "Bildung für nachhaltige Entwicklung" an der York University in Toronto, Kanada.

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